Der Anblick meiner verstorbenen Mama

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Der Anblick meiner verstorbenen Mama

„Ich möchte sie so in Erinnerung behalten, wie sie war!“

Diesen Satz höre ich oft. Bevor ich zur Sternentochter wurde und dadurch das erste Mal einen verstorbenen geliebten Menschen gesehen habe, hätte ich dem zugestimmt. Heute habe ich aufgrund meiner persönlichen Erfahrung eine etwas andere Einstellung dazu. Man behält den Menschen nicht nur so in Erinnerung wie er gegangen ist, sondern dies ist „nur“ ein Teil seiner Lebensgeschichte. Ich vergleiche es gerne mit einem Puzzle. Die Lebensgeschichte eines Menschen besteht aus vielen kleinen Puzzelteilen – unseren Erinnerungen und dazu gehört auch der Tod. Wenn ich an meine Mama denke, dann erinnere ich mich bildlich ganz klar an ihre Blütezeit und nicht an ihre Krankheitszeit.

Natürlich muss das jeder Mensch für sich selbst entscheiden und es gibt nicht die eine universale Lösung/Erfahrung, die auf alle und jeden zutrifft. Trotzdem möchte ich gerne meine Erfahrung mit euch teilen:

 

  1. Juli 2016

Die Sonne strahlte warm auf meine Haut. Das leichte Surren des Ventilators klang aus dem Wohnzimmer. Ich hörte das regelmäßige, aber laute Atemgeräusch meiner Mama. Ich war in meinen Gedanken gefangen. Es ist bald so weit. Ich konnte es spüren. Mamas Tod steht unmittelbar bevor. Vielleicht nicht in ein paar Minuten, aber in ein paar Stunden. Wie wird es sein? Wie wird sich ihre Haut anfühlen? Wird es so aussehen, als ob sie schläft? Gibt es diesen letzten Atemzug wirklich? Wie schnell tritt die Leichenstarre auf? Wird es unangenehm nach „Totem Mensch“ riechen?

Ich spüre wie sich meine Kehle zuschnürte. Wie konnte ich so egoistisch sein und mich mit diesen Fragen beschäftigen? Meine Mama wird sterben und das Einzige, woran ich denken konnte, war wie es für mich sein würde. Ich schüttelte meine Gedanken ab und ließ meinen Blick durch den Garten schweifen. Ich könnte einfach den Arzt fragen. Er müsste jeden Augenblick vorbeikommen, um nach Mama zu sehen. Ich tat es nicht. Es schämte mich für meine Gedanken, meine Unsicherheit und mein Unwissen. Ich wartete ab. Es quälte mich, dass ich in dem Moment gedanklich nicht so bei meiner Mama war, wie ich wollte. Ich war gelähmt von Angst.

Und dann kam der Moment. Ich schloss meiner Mama ganz zart und natürlich die Augen. Ich war dabei als sie ihren letzten tiefen Atemzug nahm und spürte wie ihre Seele beim Ausatmen den Körper verlies. Mein Hund fing plötzlich an zu Bellen. Ich schrak auf. Auch er hatte den Moment gespürt und sich auf seine Art und Weise verabschiedet. Wir weinten an ihrer Seite. Ich hielt ihre Hand. Ich dachte plötzlich gar nicht mehr an meine ursprünglichen Gedanken, sondern gab mich dem Moment hin. Wir stellten kleine Vasen mit Blumen um meine Mama und rahmten sie wie ein wunderschönes Gemälde ein. Eine Lesung wurde vorgetragen. Eine Duftkerze flackerte zur ruhigen Musik, die im Hintergrund lief. Ich spürte eine unfassbare Traurigkeit auf meinem Brustkorb, aber auch ein Gefühl der Erleichterung machte sich in meinen Schultern breit. Sie hatte es geschafft. Wir hatten es geschafft. Ich sah in das Gesicht meiner Mama. Sie sah so friedlich aus. „Nein“, dachte ich „Sie sieht nicht aus als würde sie schlafen. Ich kann sehen, dass sie gestorben ist. Ich verstehe, dass ihre Seele den Körper verlassen hat.“ Und so vernahm ich das sanfte Lächeln auf ihrem Gesicht als ihr letztes Geschenk an uns.  

Ich weiß, dass nicht Jeder die Möglichkeit hat seinen geliebten Menschen beim Sterben zu begleiten oder die verstorbene Person danach zu sehen. Ich bin sehr dankbar dafür. Rückblickend weiß ich, wie mir dies beim „Begreifen und Verstehen“ in meiner Trauer geholfen hat. Ich hatte damals viel Glück mit den Umständen – trotzdem hätte ich mir den Mut gewünscht meine Fragen zu stellen, mit jemanden über meine Unsicherheiten zu sprechen und meine Gedanken zu teilen.

Wenn du merkst, dass du eine sehr andersartige Erfahrung gemacht hast, die herausfordernde Gefühle in dir auslöst und du das gerne nochmal näher betrachten möchtest, kannst du mich gerne kontaktieren. Ich würde dich gerne ein Stück auf deinem Weg begleiten.

Deine Lisa.

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